Eine Tradition lebt weiter – Die Berufsfischerei am Greifensee über Generationen
Wenn am frühen Morgen der Nebel über dem Greifensee liegt und das erste Licht die Wellen silbern färbt, war das früher der Moment, in dem die Fischer ihre Boote losschoben. Unter ihnen war auch Emil Zollinger, einer jener Männer, die die Fischerei am Greifensee über Jahrzehnte prägten – mit harter Arbeit, Geduld und einem tiefen Verständnis für den See. Über Generationen hinweg lebte und arbeitete die Familie Zollinger am Ufer des Greifensees. Was einst mit einfachen Ruderbooten und handgeknüpften Netzen begann, entwickelte sich im Laufe der Jahrzehnte zu einem modernen, aber immer naturverbundenen Handwerk.
Eine Berufung, keine Arbeit
Die Fischerei am Greifensee ist eine der ältesten Erwerbsformen der Region. Schon im 19. Jahrhundert versorgten die Fischer die Bevölkerung in den umliegenden Dörfern mit frischem Fisch. Einer von ihnen war Emil Zollinger sen., der mit seiner Frau den Betrieb in Riedikon aufbaute – einem kleinen Ort zwischen Uster und dem Seeufer. Sein Sohn Emil Zollinger jun. führte die Tradition weiter und machte den Namen „Zollinger“ weit über die Region hinaus bekannt.
Täglich, bei Wind und Wetter, legten sie mit ihren Booten ab. Im Winter mussten sie Eis schlagen, im Sommer die Hitze ertragen – immer mit einem Ziel: den Menschen ehrliche, frische Lebensmittel aus der Natur zu bringen. Für die Zollingers war die Fischerei nie einfach ein Beruf, sondern eine Lebensweise. Sie bedeutete frühes Aufstehen, körperliche Arbeit und ein feines Gespür für die Laichzeiten, Strömungen und Eigenheiten des Sees.
Zwischen Handwerk, Geduld und Verantwortung
Die Arbeit eines Berufsfischers erfordert Feingefühl und Respekt vor der Natur. Jede Fischart hat ihre Zeit, jede Fangmenge ihre Grenze. Schon früh verstanden die Fischerfamilien am Greifensee, dass sie mit der Natur arbeiten mussten – nicht gegen sie. In den 1960er- und 1970er-Jahren wurden erste Regulierungen zum Schutz der Fischbestände eingeführt. Für Emil Zollinger jun. und seine Nachfolger war das selbstverständlich: Nachhaltigkeit war hier kein modernes Schlagwort, sondern gelebte Praxis. Die Zollingers waren bekannt für ihre Sorgfalt, ihren Sinn für Qualität – und ihre Bereitschaft, auch in schwierigen Zeiten am See zu bleiben. Ihre Netze hingen stets ordentlich geflickt, das Boot lag gepflegt am Ufer. Alles hatte seine Ordnung, seinen Rhythmus.
Eine Ära wandelt sich – und wird fortgeführt
Mit Andreas Zollinger, der den Betrieb zuletzt führte, schien 2024 zunächst eine über hundertjährige Tradition zu enden. Die Zürichsee-Zeitung titelte damals: „Der letzte Berufsfischer am Greifensee gibt auf.“ Damit schloss sich ein Kapitel, das über Generationen hinweg das Leben rund um den See geprägt hatte.
Ein Fischereiverbot auf dem Greifensee zwang den Betrieb zur Pause. Doch die Geschichte war damit nicht vorbei – sie machte nur eine kurze Atempause. Heute wird die Berufsfischerei am Greifensee von Sämi Weidmann fortgeführt – einem Fischer, dessen Familie seit Generationen eng mit den Zollingers zusammenarbeitet. Gemeinsam teilten sie Netze, Boote, Wissen und dieselbe Liebe zum Wasser.
Damit geht eine Tradition weiter, die über ein Jahrhundert lang das Gesicht des Sees geprägt hat. Was einst Emil Zollinger begann, lebt nun in neuer Form fort – in nachhaltiger, verantwortungsbewusster Fischerei und in einem tiefen Respekt vor der Natur.
Eine Geschichte, die weiterwirkt
Auch wenn sich die Rahmenbedingungen verändert haben, bleibt der Geist der alten Fischerei lebendig. In den Bootshäusern, in den Erinnerungen der Menschen, in alten Fotos – und in der Arbeit jener, die das Handwerk weiterführen.
Menschen wie Sämi Weidmann zeigen, dass Fischerei auch im 21. Jahrhundert Zukunft hat – wenn sie verantwortungsvoll, regional und mit Respekt vor der Natur betrieben wird.
Denn Fischerei ist mehr als Fang und Verkauf. Sie ist gelebte Kultur, Teil der Identität einer Region – und ein Sinnbild für den achtsamen Umgang mit unseren Gewässern.